Portrait aus dem Umfeld der Universite Populaire Albanaise
Azem Hyseni: Schwerarbeiter, Unternehmer, Kosovoalbaner
Von Zürich nach Genf fahren, um einen Kosovoalbaner zu portraitieren? Auf den ersten Blick könnte man das mit dem sprichwörtlichen Tragen von Sand ans Meer vergleichen. In der Tat ist die Deutschschweiz die traditionelle Heimat der Exil-Kosovaren, Zürich gar ein europaweit bedeutendes Zentrum etwa im Pressebereich. Die Reise in die Rhonestadt hat sich dennoch gelohnt. Es offenbarte sich ein etwas anderer Umgang mit der albanischen Minderheit in der wohl internationalsten Schweizer Stadt mit dem spannendem Mix aus französischem Flair und calvinistischem Fleiss. Hier scheint die bewundernswerte Integrationsgeschichte des heute 39-jährigen Bauunternehmers Azem Hyseni, der vor 20 Jahren nach Genf gelangt ist, nicht etwa erstaunlich, sondern folgerichtig. Gleichzeitig ist Genf dank der Arbeit der Universite Populaire Albanaise (UPA) der Deutschschweiz auch bezüglich Integrationsanstrengungen einen Schritt voraus.
Wir sind in Genf, mitten in der Stadt, nahe der Rhone. „Hyseni Constructions – Entreprise Generale“: Gleich mehrere Transporter mit diesem Schriftzug stehen in der Strasse, wo der Kosovoalbaner seine Baufirma hat. Ursprünglich wollte Azem Metallurgie-Ingenieur werden. Die Stadt Mitrovica, die in den vergangenen Jahren wegen ihrer Teilung in einen serbischen und einen albanischen Teil für Schlagzeilen sorgte, war zur Tito-Zeit ein bedeutendes Zentrum der jugoslawischen Metallindustrie. Unter politisch normalen Verhältnissen wäre es eigentlich kein Problem gewesen, mit dem Ingenieur-Abschluss, für den Hyseni das Studium begonnen hatte, sofort eine gute Stelle zu finden. Doch die Umstände im Kosovo waren aufgrund des herrschenden Zentralismus alles andere als günstig, insbesondere was die Lage an den Universitäten betraf. So folgte der damals 21-jährige seinem Vater im Jahr 1987 nach Genf. Dieser hatte bereits seit knapp zehn Jahren in der Schweiz gearbeitet. Anstatt der Ingenieur-Karriere verdingte sich Azem in Genf zuerst als Privatchaffeur und bei der Chasselas-Ernte.
Firmeninhaber mit eigener Immobilie
„Doch schon bald entdeckte ich die Faszination der Baubranche. Gipser- und Malerarbeiten haben es mir besonders angetan. Nach zehn Jahren in der Schweiz gründete ich meine Firma, zuerst nur mit meinem Bruder, heute beschäftige ich zehn feste Arbeiter, projektweise weitere Angestellte sowie eine Vielzahl von Unterlieferanten“, erzählt der heute 39-jährige nicht ohne Stolz, in bestem Französisch. Wenn es um Gipsarbeiten und Plafonds im historischen Stil geht, gehört Hyseni zu den drei bis vier gefragten Adressen in Genf. Die Firma selbst ist im Parterre eines 5-stöckigen Stadthauses nahe der Rhone untergebracht. Hyseni hat es kürtlich gekauft und ist dabei, es auf Vordermann zu bringen, die vermieteten Wohnungen in den oberen Etagen werden renoviert – unter liebevollem Beibehalt der historischen Materialien und Details. Hyseni ist ein Schwerarbeiter, neben den Aufträgen kommt es nicht selten vor, dass er in seiner eigenen Liegenschaft bis spät in die Nacht Hand anlegt. Die Büro-Räume von „Hyseni Constructions“ sind trendig – schlicht, mit alten Sichtmauern und einem Schiffboden. Ein neu auf der Gebäudehinterseite montierter Glaslift mit Blick auf den herausgeputzten Hinterhof verleiht dem über hundertjährigen Gebäude einen modernen Kontrast.
Hier in den Büros der „Hyseni Constructions“ führen wir das Interview mit dem Direktor der Firma. Ebenfalls dabei ist Hysenis langjähriger Bekannter Philippe Kursner, der Leiter der Genfer Organisation „Universite Populaire Albanaise“: mehr zur Arbeit der UPA ganz am Ende dieses Beitrages.
Hyseni liebt seine Branche, zu der er - vom Zufall oder vom Schicksal gelenkt – in Genf gekommen ist. Deshalb findet er es schade, dass in der Schweiz das Handwerk nicht mehr geschätzt wird: „Die Baustellen sind von Ausländern geprägt, die Schweizer machen lieber Büro-Jobs. In ganz Genf beispielsweise hat nur eine einzige Person letztes Jahr die Gipserlehre gemacht. Ich finde kaum noch gute Arbeiter, man muss immer weiter suchen gehen, in Portugal oder neuerdings vermehrt in Polen.“
„Man muss auf die Leute zugehen“
Wie war die erste Zeit in Genf in den 80er-Jahren? Azem Hyseni war zu dieser Zeit einer der wenigen Leute aus Mitrovica – die Industriestadt war kein typischer Auswanderungsort. Nur Azems Vater lebte bereits in Genf. Die übrigen Kosovoalbaner in Genf stammten mehrheitlich aus ländlichen Gegenden – im Gegensatz zum tendenziell städtisch geprägten, intellektuellen Immigrantenumfeld der Deutschschweiz, wo auch die albanischsprachigen Exilmedien beheimatet sind.
Für den jungen Kosovaren war es klar, dass er sich in der Genfer Gesellschaft stürzen würde. Über Schweizer Freunde des Vaters lernte Azem rasch Französisch, und in den Albaner-Klubs der Gegend war er schon nach zwei Jahren kaum mehr anzutreffen. Wobei Genfer Gesellschaft auch heisst: Freunde aus der ganzen Welt. „Immigranten wie Albaner oder Portugiesen sagen oft, die Schweizer seien nicht offen, ich habe in Genf eine andere Erfahrung gemacht. Wenn man den ersten Schritt macht und auf die Leute zugeht, lernt man schnell, wie die Leute hier leben. Das heisst nicht, dass man deswegen seine Kultur aufgeben müsste. Und es ist eine Bereicherung, verschieden Lebensarten zu kennen.“
Für den Schwerarbeiter und Bauunternehmer Hyseni kam es nie in Frage, mit einem anderen als seinem eigenen Familiennamen auf der Baustelle aufzutreten: Unterdessen ist „Hyseni Constructions“ in Genf und Umgebung zur Qualitätsmarke geworden. „Wer mich engagiert, tut es wegen der Qualität der Arbeit, nicht wegen ein paar Buchstaben meines Namens.“
Im Kosovo als Ausländer betrachtet
Bis zum Tot seines Vaters vor zwei Jahren reiste Hyseni regelmässig in den Kosovo, jetzt sind die Besuche seltener geworden, nicht zuletzt wegen der beruflichen Belastung. „Und als Ausgewanderter wird man am Ort der Kindheit oft fast als Ausländer angeschaut.“ Trotzdem hat Hyseni die Bindung zu seinem Land nicht aufgegeben. Nach den kriegerischen Ereignissen und nachdem die UNO 1999 in den Kosovo gekommen war, ging er zurück, um seiner Familie zu helfen: Vom Haus waren nur noch die Grundmauern übrig geblieben, der ganze Hausrat war verbrannt. Hyseni packte an und baute das Haus innert weniger Monate wieder auf.
Auch Hysenis künftige, noch vage Geschäftsideen sind eine Verbindungslinie zwischen Genf und dem Kosovo. „Ideen habe ich viele, doch ich kann nicht überall gleichzeitig sein.“ Sobald der politische Status von Kosovo auf der internationalen Bühne geklärt ist, dann rechnet man mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. „Bereits jetzt würde ich wohl mehr verdienen, wenn ich in Pristina ein Bauunternehmen hätte anstatt in Genf“, scherzt Hyseni. Mit Blick auf mögliche Investitionen aus der Schweiz, für die Hyseni eine Art Vermittlungsfunktion spielen könnte, vergleicht er die Ressourcen des Kosovo mit der Schweiz: „Am Geburtsort meines Vaters könnte man ein riesiges Skigebiet eröffnen, Schnee hat es dort meist mehr als in der Schweiz“, sagt Hyseni mit einem Augenzwinkern.
Die albanischen Pizzaiolos
Ich konfrontiere Hyseni mit folgender These: Schön und gut, dass er eine problemlose Integration in Genf geschafft hat und er die Beziehungen zu den Schweizern insgesamt als problemlos betrachtet. Doch - diese meine These – wäre der Beweis einer wirklichen geglückten Integration nicht gerade, dass die Kosovoalbaner neben der Assimilation auch ihre eigene Kultur mit etwa mehr Stolz präsentieren würden, anstatt sie im Genfer Alltag beinahe zu vergessen?
„Ich habe in der Tat den Eindruck, zumindest hier in Genf, dass die Albaner, aber auch die Kroaten, Bosnier und Serben, etwa bei der Arbeit auf der Baustelle die bestintegrierten Ausländer sind: Viel schneller als beispielsweise die Portugiesen haben sie Französisch gelernt. Was auf der anderen Seite das Einbringen der eigenen Kultur betrifft, da könnten wir Albaner und generell die Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien aber tatsächlich aktiver werden. Die Kroaten sind unterdessen etwas besser bekannt, weil die Schweizer positive Ferienerlebnisse mit nach Hause nehmen. „Sowohl Hyseni als auch der UPA – Vertreter Kursner sehen Ansätze, um das albanische Element in der Schweiz bekannter zu machen, beim Essen, aber auch in der Kultur und Literatur.
Rund zwei Dutzend Genfer Restaurants werden von Albanern geführt, doch werden die Pizzaiolos, Geranten und Köches kaum als Albaner wahrgenommen, so auch im Luxus – Restaurant „Le Pavillon du Lac“. Nur ein Genfer Restaurant (in der UPA) führt albanische Spezialitäten, während es etwa fünf Lokale mit eritreischen Spezialitäten gibt. Hyseni, der zwar von der Küche seiner Mutter schwärmt, aber doch zugibt, dass er sich selber schon etwas von der albanischen Küche entfernt hat, gibt den gefüllten Paprika oder anderen Spezialitäten durchaus eine Chance - als kleiner Mosaikstein zur Förderung des Austauschs zwischen Albanern und Schweizern.
Wenn Azem Hyseni – zum Beispiel anhand der Küche - über das Thema Integration zu sprechen beginnt, dann merkt man: Der Unternehmer ist kein Theoretiker, sondern ein Praktiker, der vorurteilslos und offen mit den Leuten kommuniziert. In Hysenis Karriere, in der er auf der Baustelle auch mit Serben, den historischen Gegnern im Kosovo – Konflikt, zusammengearbeitet hat, sind Unternehmertum, Spass an der Arbeit und gute Freundschaften die Schlüssel zum Erfolg. Dabei muss er aber auch feststellen, dass im Zusammenhang mit der Integration der Kosovoalbaner die Boulevard – Presse ein teils völlig gegensätzliches, von einzelnen Kriminalfällen geprägtes Bild transportiert oder sogar kreiert.
Die Zeit dürfte das Ihre dazu beitragen, gewisse mediale Übertreibungen wegzuspülen. Bei der Führung durch Hysenis in Renovation befindliches Gebäude stösst man auf die Namen der beteiligten Handwerker verschiedener Einwanderungswellen: Schwizgebel, der Elektriker mit alten Berneroberländer Wurzeln, der Kosovoalbaner Hyseni und viele andere stehen für die Integrationskraft der Stadt Genf.
Der Fall Monthey
Der „Fall Monthey“ hat Anfang 2007 die Westschweizer Medien beschäftigt. Auch Azem Hyseni und UPA – Leiter Philippe Kursner haben den Unterwalliser verfolgt. Dabei ging es um eine tätliche Auseinandersetzung: Eine junge Frau wurde von einem Albaner angegriffen – ein Fakt, das für eine Welle unschöner generalisierender Berichterstattungen sorgte. Ein früherer Fall im selben Umfeld, bei dem der Albaner von einem Schweizer am Auge verletzt wurde, wurde hingegen von den Medien zu Beginn verschwiegen. In einem Interview sagte der zuständige Richter rückblickend: „Personen mit xenophoben Ansichten haben versucht, den Fall ausländerfeindlich auszuschlachten.“ Der Richter bemerkte auch, dass es kurz vor der Pressekonferenz zum Fall Monthey eine tätliche Auseinandersetzung in Vevey gab, mit einem Schweizer Angreifer und einem albanischen Opfer – bei umgekehrten Vorzeichen wäre es gemäss dem Richter ein riesiger Medienrummel vorprogrammiert gewesen. So aber blieb es still...
Sowohl Hyseni als auch Kursner stellen - ganz anders als oft im praktischen Alltag - eine mediale und politische Tendenz zur Übertreibung und Generalisierungen fest. „Das politische Ausschlachten von Einzelereignissen ist in den Wahljahren besonders eklatant“, stellt der UPA – Leiter fest, der auf der Website seiner Organisation einen Medienspiegel zum Thema publiziert. „Einfach einer Gruppe von Menschen die Schule zu geben, ist aber nicht die Lösung des Problems - im Gegenteil. „Die UPA nimmt in solchen Fällen auch mal öffentlich Stellung. Eine klare Haltung sei umso wichtiger, so Kursner, weil die Albaner in der Schweiz immerhin einige Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Die UPA
Die Universite Populaire Albanaise wurde 1996 gegründet, zu einer Zeit, als die aufgrund der politischen Lage im Kosovo sehr viele Leute in die Schweiz kamen. Die UPA, eine schweizweit in dieser Form einmalige Organisation, bot den Kosovoalbanern die Rhonestadt erst ganz konkrete Hilfeleistungen. So haben sich in der Anfangszeit manchmal mehr als hundert Personen im Zentrum eingefunden, um sich am Fernsehen über die Lage zuhause zu informieren. Philippe Kursner ist seit 2002 dabei, heute als Leiter der Organisation.
„Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat die UPA einen breiteren Integrationsauftrag. Denn die Kosovoalbaner in Genf Werden wohl meist für das ganze Leben hier bleiben. Dabei stehen praktische Dinge im Vordergrund: Sprachkurse und Computer – Ausbildungen. Das Beherrschen der Informationstechnologie ist heute ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen und beruflichen Integration“, erklärt Kursner.
Während die Organisation anfänglich allein für die Albaner da war, so werden heute Kurse zu zwei Dritteln von Menschen aus der ganzen Welt belegt. Daneben setzt Kursner – als zweites Standbein der UPA – auf einen verstärkten Austausch zwischen Albanern und Schweizern: Kulturelle Anlässe, Literaturabende und die Teilnahme an Genfer Festivitäten gehören dazu. Auch das angegliederte Cafe - Restaurant ist nicht nur für die UPA – Mitglieder geöffnet, sondern insbesondere über Mittag bei den Geschäftsleuten aus dem Quartier beliebt.
Finanziert wird die Universite Populaire Albanaise von der Stadt und Kanton Genf. Daneben realisiert die UPA im Auftragsverhältnis diverse Informationskampagnen bei der albanischen Gemeinschaft in Genf, zum Beispiel im Gesundheitsbereich.
Philippe Kursner, der Waadtländer in Genf, mit einem Namen historischen österreichischen Ursprungs – und Azem Hyseni, der Genfer Kosovoalbaner mit Baufirma, sind über die Jahre hinweg und durch die Universite Populaire Albanaise gute Freunde geworden. Beide haben durch ihre Lebensgeschichte und einen offenen Geist ihren Horizont erweitert und viel Spannendes dazugelernt. Der UPA – Chef ist überzeugt: „Bei der Integration verlangt man viel von den Eingewanderten, da ist es nichts als logisch, dass sich die andere Seite ebenfalls kooperativ zeigt!“
So, hoffe habe den Text richtig abgeschrieben. Ist ein Kapitel aus dem Buch "Die Jugo-Schweiz".