Do, 27. Mär 2008, 8:41
Kosovos Exportschlager ist Autoschrott
26.03.2008 | 18:29 | Von unserem Korrespondenten THOMAS ROSER (Die Presse)
Der Kosovo ist reich an Bodenschätzen und jungen Arbeitskräften. Doch die jüngste Nation des Kontinents wird trotz der Unabhängigkeit noch lange das Armenhaus des Balkan bleiben.
Stan Terg. Zwei herrenlose Hunde traben über das Zechengelände. Unter den leeren Fensterhöhlen der bröckelnden Fassaden plätschert ein Rinnsal ins felsige Tal. Sonst ist es still, denn seit neun Jahren wird hier schon nichts mehr abgebaut. Bequir Maliqi, der Technische Direktor der Trebca-Zeche in Stan Terg im Norden des Kosovo, hatte ein Jahrzehnt in den 800 Meter tiefen Stollen Zink, Silber und Blei gefördert. Als 1998 die Repressionen des Regimes des serbischen Expräsidenten Slobodan Milosevic gegen die Kosovo-Albaner zunahmen, wurde er wie alle seine albanischen Kollegen entlassen. Nach Ende des Kosovo-Kriegs kehrte er 1999 an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Und hat seitdem nicht viel zu tun.
Der Reichtum an Bodenschätzen gilt als größter Trumpf des Kosovo. Braunkohle, Zink, Nickel, Kupfer und Magnesit lagern unter der Erde des jüngsten Staates Europas. Doch bislang ist das Rohstoffvorkommen für das Zwei-Millionen-Einwohner-Land trotz hoher Weltmarktpreise nur eine potenzielle Einnahmequelle.
Zwei Jahrzehnte prägten ethnische Konflikte, wirtschaftliche Isolierung und Verfall den bereits zu jugoslawischen Zeiten als rückständig geltenden Kosovo. Hatte die damalige Provinz 1989 noch Güter im Wert von 700 Mio. Dollar exportiert, liegt die Höhe der Ausfuhren heute nur bei einem Sechstel: Die Hälfte seiner Exporterlöse erzielt das Land derzeit mit der Ausfuhr von Autoschrott. Den kärglichen Exporteinnahmen stehen zehn Mal so große Einfuhren gegenüber. Von der „schlechtmöglichsten Handelsbilanz“ spricht Shpend Ahmeti, der Direktor des GAP-Instituts in Pristina.
50 Prozent Arbeitslosigkeit
Mit tagelangen Jubelfeiern begrüßte die albanische Bevölkerungsmehrheit Mitte Februar die Unabhängigkeit von Serbien. „Die Leute glauben, dass sich über Nacht alles zum Besseren verändert. Doch Arbeitslosigkeit und Armut werden vorläufig weiter das Leben prägen“, sagt Ahmeti.
Tatsächlich ist der Blick auf die wirtschaftlichen Daten des Armenhaus des Balkan ernüchternd. Das Pro-Kopf-Einkommen von 1100 Euro ist vergleichbar mit dem afrikanischer Staaten. Nur jeder vierte Kosovare ist beschäftigt: Die Arbeitslosenquote dümpelt zwischen trostlosen 40 und 50Prozent. Der Arbeitsmarkt wird durch die hohe Geburtenrate zusätzlich belastet: 70Prozent der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt.
Wie die verfallenen Industrie-anlagen ist auch das Straßen- und Eisenbahnnetz in einem katastrophalen Zustand. Zwei Jahrzehnte lang habe es „keine wichtigeren Investitionen“ in die Infrastruktur gegeben, sagt Muhamet Mustafa, der Direktor des Riinvest-Instituts in Pristina. Die „sehr spezifische“ Entwicklung des Kosovo lässt sich laut Mustafa kaum mit der anderer postjugoslawischer Staaten vergleichen. Erst Anfang der 60er-Jahre wurde die Entwicklung der Infrastruktur und der Industrie im Kosovo in Angriff genommen. Stattliche Transferzahlungen aus den begüterten Republiken Jugoslawiens bescherten der Armutsregion in den 70er-Jahren einen bescheidenen Aufschwung. Ende der 80er-Jahre nahmen in Jugoslawien indes nicht nur die wirtschaftlichen Probleme, sondern auch ethnische Spannungen zu.
„Alles stand unter Wasser“
Während der 90er-Jahre drehte Belgrad der Provinz drastisch den Geldhahn zu. In der Trebca-Zeche wurde zwar noch abgebaut, aber kaum mehr investiert. „Die Serben beuteten die Zeche nur noch aus, füllten die Stollen aber nicht auf, pumpten das Wasser nicht ab“, erzählt Beqir Maliqi. „Als wir nach dem Krieg zurückkamen, war die Zeche in einem deutlich schlechteren Zustand als zuvor – und stand praktisch unter Wasser.“
Nach Ende des Krieges 1999 übernahm die UN-Verwaltung im Kosovo das Ruder. Trotz einiger Erfolge setzte sich der Verfall des Kosovo fort, der Privatisierungsprozess kam nur sehr mühsam in Gang. Die ersten Heimkehrer brachten zwar neues Geld ins Land. Doch ausländische Konzerne pflegten nicht nur wegen der katastrophalen Infrastruktur und der ungelösten Statusfrage um den Staatenzwitter einen Bogen zu schlagen. Neben den ständigen Stromausfällen war und ist es die florierende Korruption, die Investoren oft zurückschrecken lässt.
Mit dem Bau eines neuen Kraftwerks hofft Pristina, spätestens 2012 die Stromversorgung im Land sicherzustellen. Eine neue Schnellstraße zur albanischen Hafenstadt Durrës soll Kosovo bis Ende 2009 eine bessere Anbindung an die internationalen Handelsströme verschaffen.
Trotz der schlechten Ausgangslage sei bei Beseitigung einiger Investitionshemmnisse ein jährliches Wachstum zwischen fünf bis sieben Prozent „leicht zu erreichen“, sagt Shpend Ahmeti: „Wir beginnen schließlich auf einem sehr niedrigen Niveau.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2008)
Arroganz ist die Kunst, auf seine eigene Dummheit stolz zu sein